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Wo Partizipation wirklich gelebt wird

Forscher der Uni Paderborn attestieren den Kindern der Peter Gläsel Schule die Kompetenz, über ihr eigenes Lernen zu bestimmen. Außerdem verfügen die Grundschüler über ein hohes Maß an Empathie und Argumentationsfähigkeit.

Detmold/Paderborn. Eine Schule, in der die Kinder in hohem Maße selbst bestimmen, was, wann, mit wem und wie sie lernen, kurz: über ihre Bildung mitbestimmen − kann das funktionieren? Die Peter Gläsel Schule in Detmold ist 2015 mit genau diesem Anspruch an den Start gegangen und hat von vornherein Wissenschaftler mit ins Boot geholt. Prof. Dr. Petra Büker, Professorin für Grundschulpädagogik und Frühe Bildung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Paderborn, begleitet mit ihrem Team die Pilotphase der Grundschule − und hat nun erste Erkenntnisse über die Sichtweisen der Kinder auf diese neue Form des Lernens.

Die Wissenschaftlerinnen Dr. Julia Höke und Dr. Birgit Hüpping sind regelmäßige Gäste in den Räumen der Peter Gläsel Schule. Einmal pro Woche stellen sie systematische Beobachtungen darüber an, auf welche Weise die Lernangebote genutzt werden. Ein- bis zweimal pro Schuljahr werden außerdem die Schüler zu den Bedingungen und Prozessen ihres eigenen Lernens befragt. Das Ziel der wissenschaftlichen Begleitforschung ist es herauszufinden, ob das Konzept der Partizipation aufgeht. Die Feststellung der Entwicklung der Lernkompetenzen in mathematischen, sprachlichen und anderen Bereichen wird hingegen von den Lernbegleitern, d.h. den pädagogischen Fach- und Lehrkräften, selbst vorgenommen. Selbstverständlich gilt der landesweite Lehrplan für die Grundschule auch für die Peter Gläsel Schule. Neben verbindlichen Lernangeboten gibt es hier allerdings große Freiräume für individuelle Schwerpunktsetzungen der Kinder.

Die Wissenschaftlerinnen der Universität Paderborn sind auf das Forschen mit Kindern spezialisiert. So erfolgte eine Befragung beispielsweise mittels Foto-Voice-Methode, bei der die Kinder mit Hilfe ihrer Tablets Fotos von den für sie bedeutsamen Orten an ihrer Schule machen und anschließend über die Bilder sprechen. „Es ist schnell deutlich geworden, dass das räumliche Setting der Schule sehr wichtig für die Kinder ist“, berichtet Prof. Dr. Petra Büker. „Lernen findet nicht primär am Schülertisch sitzend statt. Sie nutzen Gruppenräume, Nebenräume, das Außengelände und selbst definierte Rückzugsorte als Gestaltungs- und Erfahrungsräume für die Auseinandersetzung mit Lerninhalten und Materialien sowie für eine intensive Kommunikation mit ihren selbst gewählten Lernpartnern. Dabei erleben sie sich selbst als kompetent, um über ihr eigenes Lernen zu bestimmen.“

Bei den wöchentlichen Beobachtungen des pädagogischen Alltags wird zudem deutlich, dass das Verhältnis von Lernen und Spiel in der Peter Gläsel Schule ganz neu interpretiert wird. Während das freie Spiel in Regelschulen auf die Pausen und die Zeit nach Unterrichtsschluss verlegt wird und im Unterricht allenfalls in Form des didaktisierten Lernspiels vorkommt, ist es in der Peter Gläsel Schule ein integraler Bestandteil des Bildungskonzeptes „Wir konnten beobachten, wie die Kinder von Matheaufgaben direkt ins Rollenspiel übergehen und im Spiel mathematische Inhalte aufgreifen und das zuvor Gelernte verarbeiten“, erzählt Petra Büker. „Spielen und Lernen bilden eine Einheit und die Kinder wissen es zu schätzen, dass sie im gebundenen Ganztag Zeit haben und nicht in ihrem Lernfluss unterbrochen werden.“

Weitere Fähigkeiten, die die Erziehungswissenschaftlerinnen aus Paderborn an den Kindern beobachten, sind Empathie, Perspektivenübernahme und eine bereits sehr gut entwickelte Argumentationsfähigkeit – Grundlagen für ein verantwortungsvolles soziales Miteinander sowie für gesellschaftliches Engagement, die in der Peter Gläsel Schule in Projekten und Lernwerkstätten gezielt gefördert werden.

Die Beobachtungen und Kinderbefragungen decken natürlich auch „Baustellen“ auf, die im weiteren Prozess optimiert werden müssen. Die Peter Gläsel Stiftung als Träger der Schule und die Universität Paderborn sehen sich als gleichberechtigte Kooperationspartner. „Wir machen keine Auftragsforschung, sondern geben auch fachliche Beratung“, erläutert Petra Büker. „Die Rückmeldungen aus der Forschung fließen direkt in den Schulalltag ein.“ Bald sollen auch die Kinder aktive Ko-Forscher werden: Sie sollen daran beteiligt werden, das Lernen an ihrer Schule zu erforschen und Verbesserungsmöglichkeiten aufzuzeigen− ein Mehr an Partizipation geht immer.

Über die Peter Gläsel Schule

Die Peter Gläsel Schule in Detmold ist eine private Ersatzschule. Sie ist 2015 als einzügige Grundschule von der Peter Gläsel Stiftung gegründet worden. Mittlerweile lernen hier 60 Kinder in vier jahrgangsübergreifenden Gruppen nach dem PRRITTI-Bildungsmodell, das künstlerisch-kulturelle Bildung unter Beteiligung der Kinder als zentralen Zugang zum Lernen in den Fokus stellt − ein weltweit einzigartiges Bildungsmodell. Die Peter Gläsel Schule begreift sich als Laborschule und will eine Antwort auf die Frage liefern, welche Bildung Kinder im 21. Jahrhundert benötigen, um die Veränderungen in einer globalisierten und digitalisierten Welt selbständig mitzugestalten. Für eine kindgerechte und nachhaltige Bildung verzichtet das PRRITTI-Modell auf alles, was einem lustvollen Lernen im Weg steht: Es gibt keine Noten, keine Hausaufgaben, keinen Druck und keine Schulfächer; denn die Welt besteht aus komplexen Zusammenhängen, nicht aus einzelnen Fächern. Zum Lernen nach PRRITTI gehört eine neue Organisations- und Zeitstruktur: So gibt es an der Peter Gläsel Schule keine Unterrichtseinheiten von 45 Minuten, sondern einen gebundenen Ganztag von 8 bis 15 Uhr sowie davor und danach eine Betreuung ab 7 und bis 17 Uhr. Zu Beginn des Tages treffen die Kinder sich zum Morgenkreis, tauschen sich aus und planen, was sie an dem jeweiligen Tag tun und lernen wollen. Sie entscheiden gemeinsam mit ihren Lernbegleiter*innen, wie sie ihren Tag und ihr Lernen strukturieren und dokumentieren.

 

 

Autorin: Carolin Jenkner-Kruel

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