Kinder forschen zu Kinderrechten
Dass über Kinder geforscht wird, ist nichts Neues. Wenn aber Grundschulkinder mit Wissenschaftlern selbst forschen, ist das eine neue Perspektive, die Einzug in die Wissenschaft hält. An der Peter Gläsel Schule in Detmold gibt es nun zum ersten Mal das Projekt „Kinderrechte: Schulalltag erforschen – Schule gestalten“ in Zusammenarbeit mit der Universität Paderborn.
An einem Mittwochmorgen im Januar hat die Viertklässlerin es sich neben Birgit Hüpping in einem Sessel bequem gemacht. Die Grundschülerin und die Wissenschaftlerin arbeiten gerade zu zweit auf, was sie im Projekt „Kinderrechte: Schulalltag erforschen – Schule gestalten“ herausgefunden haben. Souverän erzählt das Mädchen davon, was Forschen bedeutet, wie sie auf das Thema Mittagessen als Forschungsobjekt gekommen sind und dass es immer auf die Perspektive ankommt. „Nur weil mir das Mittagessen nicht immer schmeckt, heißt es ja nicht, dass es allen so geht“, erklärt sie. „Da muss man dann herausfinden, was die anderen meinen.“
Mit ihrer Gründung im Jahr 2015 hat die Peter Gläsel Grundschule in Detmold Wissenschaftler ins Boot geholt: Das Team von Prof. Dr. Petra Büker vom Arbeitsbereich Grundschulpädagogik und Frühe Bildung am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Paderborn ist jede Woche in der Schule präsent und hat durch Kinderbefragungen bereits herausgefunden, dass das selbständige, partizipative Lernen an der Schule funktioniert.
Nun werden die Kinder von Befragten selbst zu aktiven Forschern. Als Lernbegleiterin hat Birgit Hüpping mit den Kindern das Projekt „Kinderrechte: Schulalltag erforschen – Schule gestalten“ gestartet. Zwei Gruppen mit jeweils zwölf Kindern haben sich wie die Viertklässlerin dazu entschieden, daran mitzuwirken. Warum es so wichtig ist, Kinder ans Forschen heranzuführen? Birgit Hüpping verweist auf die UN-Kinderrechtskonvention: „Kinder haben ein Recht auf Mitbestimmung in allen sie betreffenden Angelegenheiten“, erklärt die promovierte Wissenschaftlerin und Grundschullehrerin. „Gleichzeitig warnt UNICEF vor Pseudo-Formen der Partizipation. Es ist ein geflügeltes Wort, aber nicht immer steckt hinter Programmen die Chance, dass Kinder selbst auch an Veränderung beteiligt werden.“ Hüpping und ihre Kolleginnen gehen davon aus, dass Forschungskompetenz Kindern eine entscheidende Möglichkeit bietet, sich auf systematische Weise mit Problemen, die sie betreffen, auseinanderzusetzen, Fragen nachzugehen, Meinungen und Argumente zu bilden und ihre Interessen und Überzeugungen zu vertreten und – ganz wichtig: auf dieser Basis Veränderungen in der Schule aktiv mitzugestalten.
Aber wie geht man das Thema Wissenschaft und Kinderrechte mit sechs- bis zehnjährigen Kindern an? „Als ich die Kinder gefragt habe, was sie zum Thema forschen wissen, hatten viele als erstes eine Lupe im Kopf, mit der man forschend durch die Natur geht“, erinnert sich Birgit Hüpping. Um ein bisschen mehr aus den Kindern heraus zu kitzeln und Aha-Effekte zu schaffen, hat die Lernbegleiterin mit den Kindern Perspektivübungen mit einem Vogel-Frosch-Spiel gemacht und Videos gezeigt, in denen es um selektive Wahrnehmung geht. Ein Film über Kinderrechte hat das in der Schule bereits bekannte Thema Kinderrechte noch einmal gebündelt und die Kinder haben sich gefragt: Wo können wir in der Schule mitbestimmen? Welche Themen sind uns wichtig? Herauskristallisiert haben sich drei Bereiche: das Mittagessen, die Außenspielgeräte und die Umwelt. Das Mittagessen hatte für die Kinder schließlich die höchste Priorität und so wollten sie herausfinden, was die anderen darüber denken.
„Wir haben einen Fragebogen gemacht, weil Interviews zu lange dauern“, erinnert sich die Viertklässlerin im Gespräch mit Birgit Hüpping. Die Kinder teilten sich in drei Gruppen auf: eine entwickelte den Fragebogen, die zweite beschäftigte sich mit dem Thema gesunde Ernährung, die dritte erarbeitete, welcher Datenschutz bei Fragebögen notwendig ist. 40 Fragebögen gaben die Kinder schließlich an ihre Mitschüler raus und erhielten 26 davon ausgefüllt zurück. Die Auswertung der Fragen per Strichlisten und Matheklötzchen war ein guter Lernimpuls für das Mathematisieren mit den vorhandenen Materialien. Und letztendlich bestätigte sich die Forschungsannahme der Kinder, dass viele mit dem Mittagessen unzufrieden sind. In der Konsequenz wollen die Kinder Kontakt zum Caterer aufnehmen und Verbesserungsvorschläge machen. Das Forschen soll den Menschen schließlich dienen und erfüllt keinen Selbstzweck.
Während die Kinder mit ihrem Forschungsprojekt erst einmal fertig sind, beginnt für Birgit Hüpping die Auswertung und Evaluation. Dabei handelt es sich bereits um die 5. Teilstudie zur Untersuchung der Partizipationsmöglichkeiten an der Peter Gläsel Schule seit ihrer Gründung im Jahr 2015. „Es zeigt sich schon jetzt, dass die Kinder das Angebot sehr gut genutzt haben, weil es um ihre Ideen und Gestaltungswünsche ging und das Gefühl der Selbstwirksamkeit erlebbar wurde“, resümiert sie. Insbesondere hätten sie gelernt, wie sie systematisch Perspektiven von anderen Kindern gewinnen können. „Am Beispiel des von den Kindern selbst gewählten Themas „Mittagessen in der Schule“ bot sich die Chance ihre Selbst- und Fremdsicht zu thematisieren, zu diskutieren und zu reflektieren.“ Die Teilstudie, erweitert die bisherigen Befunde der wissenschaftlichen Begleitung der Peter Gläsel Schule enorm, weil hier das Potenzial erkennbar wird, die Kinder noch viel systematischer als bisher in die Entwicklung der Schule einzubeziehen – ein Ziel, das die Schule sich auf die Fahnen geschrieben hat.
Über die Peter Gläsel Schule
Die Peter Gläsel Schule in Detmold ist eine private Ersatzschule. Sie ist 2015 als einzügige Grundschule von der Peter Gläsel Stiftung gegründet worden. Mittlerweile lernen hier 83 Kinder in vier jahrgangsübergreifenden Gruppen nach dem PRRITTI-Bildungsmodell, das künstlerisch-kulturelle Bildung unter Beteiligung der Kinder als zentralen Zugang zum Lernen in den Fokus stellt − ein weltweit einzigartiges Bildungsmodell. Die Peter Gläsel Schule begreift sich als eine Zukunftsschule und will eine Antwort auf die Frage liefern, welche Bildung Kinder im 21. Jahrhundert benötigen, um die Veränderungen in einer globalisierten und digitalisierten Welt selbständig mitzugestalten. Hierzu gehört auch, dass Kinder ihren Lernalltag und ihre Bildungsprozesse selbst erforschen. Für eine kindgerechte und nachhaltige Bildung verzichtet das PRRITTI-Modell auf alles, was einem lustvollen Lernen im Weg steht: Es gibt keine Noten, keine Hausaufgaben, keinen Druck und keine Schulfächer; denn die Welt besteht aus komplexen Zusammenhängen, nicht aus einzelnen Fächern. Zum Lernen nach PRRITTI gehört eine neue Organisations- und Zeitstruktur: So gibt es an der Peter Gläsel Schule keine Unterrichtseinheiten von 45 Minuten, sondern einen gebundenen Ganztag von 8 bis 15 Uhr sowie davor und danach eine Betreuung ab 7 und bis 17 Uhr. Zu Beginn des Tages treffen die Kinder sich zum Morgenkreis, tauschen sich aus und planen, was sie an dem jeweiligen Tag tun und lernen wollen. Sie entscheiden gemeinsam mit ihren Lernbegleiter*innen, wie sie ihren Tag und ihr Lernen strukturieren und dokumentieren.
Autorin: Carolin Jenkner-Kruel
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